Seit einem Monat lebe ich jetzt in Tulum, Mexiko, auf der Yucatan Halbinsel an der paradiesischen Karibikküste. Auch wenn dieses Mal vieles anders ist im Vergleich zu 2019, als ich hier zum letzten Mal war, haben sich doch manche Dinge überhaupt nicht verändert. Die hippe Stadt ist zum Beispiel immer noch bei Weitem der teuerste Ort, den ich in Lateinamerika kenne, Costa Rica mal ausgenommen. Bei meinem letzten Besuch hatte ich deutlich weniger Budget und war mehr oder weniger “auf der Durchreise”, da ich noch einiges mehr von Mexiko sehen und mir das teure Öko-Schick auch einfach nicht leisten wollte.
Dieses Mal, wo ich als digital Nomad nach Tulum komme, sieht das alles ganz anders aus. Heute wohne ich seit fast vier Wochen im Acinte by Endemico eco-chick Hotel, das überall geradezu nach Instagram Fotos schreit. Letztes Mal bin ich in einem kleinen Zimmer hinter einem hippen Restaurant untergekommen, dass zwar schön, aber laut und heiß war. Dort waren wir sehr zentral, heute eher abseits der Touristenrouten im Stadtviertel La Veleta, in dem man mehr Resorts und Expads findet als in den anderen Regionen der Stadt. Vor allem gibt es hier viel weniger laute Musik und kaum Party, was ich dieses Mal (krasser Gegensatz zu 2019), sehr wertschätze.
Meine Bedürfnisse, aber auch meine Wahrnehmung haben sich sehr verändert. Ganz zu schweigen von der Welt um mich herum, die sich ja gerade regelrecht gegenläufig dreht. Tulum ist im Vergleich zu 2019 vor allem eines – erschreckend ruhig und leer. Wenn wir abends an der Avenida Tulum spazieren gehen oder an den berühmten Insta Spots an der Zone Hoteliera am Tulum Beach vorbei düsen, gibt es einige aufgeputzte, sehr botox lastige Visagen die sich für das perfekte Instabild anstellen, aber bei Weitem nicht die Massen an Influencern die ich von hier gewohnt bin. All die fehlenden Touristen erlauben den Blick auf ein Tulum, das anders ist.
Es fehlt der Glanz der amerikanischen Mode, das Geschnatter der aufgeregten Europäer und die perfekt nach Individualismus strebende gestylte Croud (die am Ende dann doch wieder gleich aussieht) um zu verschleiern, dass Tulum eigentlich immer noch eine mexikanische Kleinstadt ist. Luxus Boutiquen sind geschlossen, weil kein Einheimischer hier einkaufen geht. Die teuersten Resorts an den erstklassigsten Stränden verfallen, weil es keine Buchungen gibt. Corona Test Zentren sprießen überall aus dem Boden und bietet Tests für lächerlich teure Preise an. Die Sprache auf den Straßen ist Spanisch, nicht mehr Englisch. Es ist ein bisschen schmutziger als davor, die Einheimischen sind präsenter. Die Strände sind voller Locals, vereinzelt blitzt mal ein Streifen weißer, westlicher Haut durch die allgemein eher dunkleren Nuancen der vorherrschenden Hautfarbe. Blond? Sieht man ganz selten.
Ich habe mir sagen lassen, dass das letztes Jahr noch viel extremer gewesen sein muss. Kein einziger Tourist auf den Straßen, keine Kunden, kein Geld, nichts. Trotzdem sind die Yoga Klassen, zu denen ich gehe, so gut wie leer. Die Digital Nomad Co Working Spaces – verlassen. Die Restaurants abends so leer, dass man immer einen Platz bekommt. Die Abwesenheit der Massen an Touristen erlaubt einen Blick hinter die Kulissen, erlaubt einen anderen Eindruck und hinterlässt ein anderes Bild. Es ist wie als hätte man einen Vorhang zur Seite gezogen und erhält einen Blick hinter die Kulissen auf die Maschinerie, die das alles eigentlich erst zum Laufen bringt.
Zwei Häuserblöcke hinter der berühmten Hauptverkehrsstraße von Tulum beginnt die Armut, die sich nicht länger nur auf die abgeschiedenen Straßen begrenzt. Ich sehe viele Kinder, die betteln, viele Männer, die keine Arbeit haben. Frauen, die an den größten Plätzen Früchte verkaufen, was vor zwei Jahren undenkbar gewesen wäre. An einem Nachmittag besuchen wir einen Freund in einem anderen Stadtviertel und die Armut, in der die Menschen leben die den Massentourismus der letzten 10 Jahre überhaupt möglich machen, schockiert mich. Ich habe viel Armut in Mexiko gesehen, viele Menschen, die ohne Bildung, fließend Wasser und Infrastruktur leben aber hier? Tulum? Wo die Reichsten der Reichen ihr Geld ausgeben? Offensichtlich sickert von diesem Geld nicht allzu viel nach unten. Obwohl die Leute hier im Durchschnitt ein höheres Einkommen haben als in anderen Regionen des Landes erscheint mir der Unterschied enorm.
Wo vorne im Hotel nur von Papiertellern mit kompostierbarem Besteck gegessen wird, wird das Plastik in dem ebenjene Essuntensilien geliefert werden hinten, wo die Angestellt leben, verbrannt. Wo vorne um jeden Baum herum gebaut wird weil man ja ach so umweltbewusst wird, wird das Holz ebenjenen Baumes hinten zum Kochen benötigt. Wo ein wohlhabender Tourist vorne 560$ für eine Nacht im Luxus Hotel ausgibt, kann hinten eine ganze Familie für ein halbes Jahr von dieser Summe essen. An kaum einem anderen Ort ist der direkte Austausch für mich so offensichtlich – Vorne lebt hoch auf die Kosten derer, die hinten leben.
Die ganze Stadt erscheint mir wie eine einzige große Kulisse eines gigantischen Theaterspiels, das seine Schauspieler zum größten Teil verloren hat und nun das Bühnenbild langsam vor sich in bröckelt und kleine Einblicke in die Wirklichkeit erlaubt. Wie genau diese Wirklichkeit aussieht und was ich davon halte, weiß ich selbst noch nicht, aber ich werde ganz sicher berichten.
Wer von euch war schon mal in Tulum und hat eigene Erfahrungen gesammelt?