Die erste Geige spielt eine zarte Melodie, die sich aus dem Orchestergraben erhebt und durch den Saal schwebt. Auf der Bühne, erleuchtet von blauem Licht, senkt sich ein Kasten herab, eine einsame Gestalt mit wallenden Locken und vollem Bart sitzt gekrümmt in der Mitte. Lautlos setzt der Kasten auf und die Gestalt erhebt sich aus ihrer lethargischen Position. Etwa zwanzig Menschen in blauen, hautengen Anzügen die mehr zeigen als sie verbergen umkreisen das Objekt, lauernd, taxieren den Mann und versuchen zu ihm vorzudringen. Die Musik schwillt an und der Mann im Inneren hebt langsam eine Hand, so als würde er an einen unsichtbaren Faden ziehen. Wie Marionette gehorcht die Menge. Synchron heben sie Arme und Beine, lassen sich fallen und stehen wieder auf, alles nach dem Willen ihres Meisters. Die kräftigen, durchtrainierten Tänzer bewegen sich so anmutigen und fließend, dass man meinen möchte die Schwerkraft folge bei ihnen anderen Regeln. Nach und nach setzten immer mehr Instrumente ein, Chelo, Bass, Flöten, Trommeln, Piano und ein Xylophon. Eine getragene Melodie baut sich auf und untermalt die Gestik des Künstlers, der seine Figuren außerhalb seiner Welt zum Tanzen bringt. Wie Pinselstriche umschreibt der Tänzer, der Albrecht Dürer darstellt, Kreise, Figuren, Farben und Gefühle, bringt seinen Körper in die unmöglichsten Positionen und zwingt jedes einzelne seiner Geschöpfe ihm zu gehorchen. Sein Anzug ist dunkler als der Rest, er hebt sich ab, ist etwas Besonderes, anders als der Rest die der Zuschauer mehr als Einheit als als Individuen begreift. Plötzlich steht der Maler still, die Figuren tanzen weiter um ihn herum, ziehen und zerren an dem Kasten, der in vier Teile zerfällt und erst scheinbar sinnlos über die Bühne geschoben wird. Der Maler bewegt sich, erst zögernd und dann immer entschlossener, bis seine Marionetten kurz verharren und sich seinen Bewegungen erneut anpassen. Sie heben ihn in die Höhe, kreisen um ihn so wie Planeten um ihre Sonne, bis ein Paukenschlag ertönt und sie am Bühnenrand verschwinden. Der Maler steht einsam auf der Bühne. Das Licht, vorher blau und kalt, wird wärmer, gelb und orange, sieht aus wie die Sonne. Ein Stoff senkt sich von oben herab, leicht und fließend, reflektiert das Licht und schimmert in all seinen Farben. Er scheint jetzt größer zu sein, geht aufrechter. Diffuse Formen und Farben gleiten über die Stoffbahnen, man meint Menschen zu erkennen, Figuren aus Kupferstichen und mathematische Formeln, die man in all seinen Werken wieder findet. Er blickt ihnen nach, formt die Projektionen mit seinen Handbewegungen wie Farbe auf Leinwänden. Eine fröhliche Melodie, getragen von einem Cembalo, die einen sofort ins 15 Jahrhundert zurück versetzt, begleitet seine Gesten die immer pathetischer werden. Schließlich erhebt er beide Hände, solange, bis hinter den Stoffbahnen zwei liegende Gestalten wie aufgebahrt nach oben fahren. Vorsichtig teilt er den Stoff und dringt zur ersten Gestalt vor. Er befreit sie von ihrem Leichentuch und haucht ihr Leben ein. Die beiden Figuren, die jetzt hautfarbene Anzüge tragen, erwachen langsam, schütteln ihre Glieder und warten auf ihre Befehle. Hand in Hand führt der Maler sie hinter den Stoffbahnen, die wie die Schichten eines Ölgemäldes wirken, hervor und bringt sie in der Wirklichkeit zusammen. Dann verlässt er die Bühne und seine Kreationen beginnen langsam, sich zu erkunden. Die offen zur Schau gestellte Erotik verleiht ihrem Tanz eine Intensität, eine Kraft, die von der euphorischen Musik nur noch verstärkt wird. Die hautengen, hautfarbenen Anzüge betonen die starken Körper und erschaffen zusätzlich eine sexuelle Spannung, die niemanden im Publikum unberührt lässt. Weitere Stoffbahnen senken sich von oben herab und vier andere Paare in den gleichen Anzügen betreten die Bühne so, dass zwischen ihnen jeweils eine der Stoffbahnen, eine Schicht des Gemäldes, liegt. Sie verändern ihre Positionen langsam und fließend so, dass sie von vorne aussehen wie ein einziges, vielarmiges Wesen. Die Musik ist zu einem Hintergrundgeräusch reduziert als der Maler erneut die Bühne betritt und der Farbton wandelt sich langsam von einem warmen Orange in ein kaltes, stechendes Rot. Wieder die projizierten Gestalten, wieder versucht er sie zu richten und nach seinem Willen zu formen, doch sie widersetzen sich und folgen ihren eigenen Regeln. Wie wild geworden zerrt er an seinen Haaren, seiner Kleidung, versucht verzweifelt seine Figuren hinter den Schichten seiner Kunst zu kontrollieren und in eine Form zu pressen, doch auch sie wehren sich mit Händen und Füßen. Er merkt, dass ihm seine Figuren entgleiten. Proportion und Schönheit verschwimmt und überschreitet die Grenzen der Wahrnehmung. Von der Bestimmtheit, mit der er seine Umwelt zu Anfang steuerte, ist nichts mehr zu spüren. Seine Macht schwindet und schließlich verfällt er, in Symbiose mit der Musik, dem Wahnsinn. Im Hintergrund zeigt sich verschwommen eine vermummte Gestalt, dann ein Engel. Völlig außer sich versucht Dürer, den Figuren zu entkommen die sich nun erheben und ihn in ihre Mitte nehmen. Ein Ball, der die Tänzer zu den unmöglichsten Positionen verleitet, wird Dürer unter den Füßen weg gezogen und er Trott nur noch in der Luft. Nun hat er alles verloren, was ihm noch Halt gab. Er schält sich aus seinem Anzug wie aus einer Schlangenhaut, unterliegt einer fremd gesteuerten Metamorphose und auf einmal sieht er aus wie seine Schöpfungen. Unter sich wild aufbäumender Musik wird der Maler selbst zu einer seiner Kreationen und verschwindet im wahnsinnigen Malstrom seiner eigenen Kreativität.
Eine freie Interpretation des modernen Ballettstückes “Dürers Dog” von Goya Monteros.
Katharina Andrea Ender